Stella Vladimirowna Nikiforowa geb. Kugelman

geb. 29.07.1939 Antwerpen (Belgien) Ravensbrück: 13. Dezember 1943 – 28. April 1945

interview

Roza Kugelman geb. Klinsky

Medizinische Angestellte

Stella Vladimirowna Nikiforowa, Foto: J. Bochat
Stella Vladimirowna Nikiforowa, Foto: J. Bochat

Stella Nikiforowa kam am 29. Juli 1939 als Stella Kugelman in einer jüdischen Familie in Antwerpen (Belgien) zur Welt. Ihr Vater, Louis Gustave (geb. 27.02.1907), war gebürtiger Spanier, der als Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg nach der Niederschlagung der Republik ins belgische Exil flüchten musste. Ihre Mutter Rosa Kugelman-Klionsky (geb. 10.04.1904), Pianistin von Beruf, begleitete ihn.

Im Dezember 1943 verhafteten die Deutschen ihre Eltern, die sich beide der belgischen Widerstandsbewegung angeschlossen hatten. Beide wurden gemeinsam mit ihrer vier-jährigen Tochter Stella in das Gestapo-Gefängnis gebracht, von dort in das Konzentrationslager Mechelen. Von hier aus wurden sie nach Deutschland deportiert; der Vater nach Buchenwald, die Mutter und Stella, nach Ravensbrück.

Stella Nikiforowa erinnert sich an viele „Lagermütter“, die sich um sie kümmerten. Und sie erinnert sich an einen einzigen, heimlich von anderen Gefangenen organisierten Besuch bei ihrer Mutter, bevor diese im Konzentrationslager an Tuberkulose starb. Ihr Tod ist für den 14. Juli 1944 dokumentiert. Rosa Kugelman war 40 Jahre alt. Den Tod ihrer Mutter konnte Stella damals nicht begreifen, für sie stand fest, dass ihre Mutter im Block 10 ist, der Baracke mit den Tuberkulose-kranken.

Die russischen, dänischen, deutschen, belgischen Frauen, die ihre „Lagermütter“ wurden, bemühten sich um ihre Rettung. Sie versteckten sie bevorzugt in jenen Baracken, die die SS mied, weil dort die an Typhus oder an Tuberkulose Erkrankten zusammengepfercht waren. Für Stella ist heute noch der Kampf gegen den allgegenwärtigen, quälenden Hunger als schrecklichstes Leiden in Erinnerung. Auf dem Todesmarsch, Ende April 1945, nahm sich eine ihr fremde russische Frau ihrer und eines weiteren belorussischen Mädchen, Nina Selidewskaja, an. Es gelang ihr, die Kinder bis nach Brjansk zu bringen. Allein in dieser russischen Stadt, in der nach dem Angriff der deutschen Truppen im Oktober 1941 mehr als eine halbe Million Menschen in Kriegsgefangenschaft gerieten, gab es 40 Kinderheime für all die Kinder, die durch den Krieg ihre Eltern verloren hatten. In einem dieser Heime wurden die beiden Mädchen von ihrer Retterin, Olympiada Aleksejevna Tscherkassova, zurück gelassen, damit diese die Suche nach ihrem eigenen Sohn fortsetzen konnte.

Während einer Neujahrsfeier im Jahre 1947 wurde Stella Nikiforowa beim Anblick brennender Holzscheite schlagartig bewusst, dass ihre Mutter in einem Feuer verbrannt worden war. Von diesem schweren Schock erholte sie sich kaum mehr. Insgesamt etwa 10 Jahre verbrachte Stella in diesem Kinderheim; nur wenige Kinder fanden ihre Angehörigen wieder.

Sie beendete die Schule und arbeitete im Museum der Brjansker Region als wissenschaftliche Mitarbeiterin.

Erst im Dezember 1962 erfuhr sie Genaueres über das Schicksal ihrer Mutter und auch ihres Vaters, der nach Brasilien ausgewandert war. Ein knappes Jahr später war es ihr möglich, für einige Monate nach São Paulo zu reisen, um ihren Vater kennen zu lernen. Verständigen mussten sie sich auf Deutsch, der einzigen Sprache, die beide zu diesem Zeitpunkt einigermaßen beherrschten. Nach ihrem Aufenthalt in Brasilien kehrte sie zu ihrer eigenen Familie nach Leningrad zurück.

Stella Kugelman heiratete den Adoptivsohn der Ärztin Antonina Alexandrowna Nikiforowa, die selbst als sowjetische Militärärztin und Kriegsgefangene die Lager Majdanek und Ravensbrück überlebt hatte. In Leningrad absolvierte Stella eine Ausbildung am Medizinischen Technikum und arbeitete im Institut für Tuberkulose.

Zwei Kinder brachte Stella zur Welt – Artjom und Valentina. Heute hat Stella Nikiforowa drei Enkel – Elisabeth und die Zwillinge Maria und Alexej.

Stella lebt bis heute in St. Petersburg. Seitdem im Juni 1988 in Kiew das erste Treffen ehemaliger minderjähriger Gefangener der Konzentrationslager stattgefunden hatte, engagiert sich Stella für die Interessen der Kinderhäftlinge. Sie leitet die St. Petersburger Organisation ehemaliger minderjähriger Häftlinge deutscher Konzentrationslager und Gefängnisse „Sojus“. Ihr Anliegen ist es, die Erinnerung an diejenigen wachzuhalten, die ihr Leben riskierten, um Kinder zu retten.

Im Juni 2014 wurde dank der Initiative dieser Organisation im Park „Krasnoje Selo“ bei St. Petersburg ein „Denkmal für die Gefangenen des Nazismus“ errichtet.

In ihrem Buch, „Bitteres Glück“ (Gorkoje stchastije) berichtet Stella Nikiforowa über sich, ihre Familie, die „Lagermütter“ und über ihre Erinnerungen.

Quellen: Stella Nikiforowa hielt am 14. November 2004 eine Rede auf dem internationalen, von Dunya Breur ins Leben gerufenen Workshop „Freundschaften in der Hölle“ in Ravensbrück. Weitere Informationen über ihr Schicksal finden sich in Dunya Breur, Ich lebe, weil du dich erinnerst“, S. 84 ff. und Stella Nikiforowa, „Bitteres Glück“ (Gorkoje stschastije), St. Petersburg, 2014, ISBN 978-5-906555-82-3