Selma van de Perre - Velleman (1922 – 2025)
Ein Leben, das von Mut, Widerstandskraft und
unzerstörbarer Menschlichkeit zeugt
Selma van de Perre wurde am 7. Juni 1922 als Selma Velleman in
Amsterdam geboren als Tochter von Barend Velleman und Femmetje Spier in eine
herzliche und fortschrittliche jüdische Familie geboren. Ihre Kindheit
war geprägt von Optimismus und Neugier; sie wuchs
umgeben von Büchern, Musik und dem Glauben auf, dass die Welt
verstanden und verbessert werden könne. Doch dieser Glaube
wurde Anfang der 1940er Jahre grausam zerstört.
Mit Beginn der Besatzung erlebte Selma, wie sich die
Gesellschaft, in der sie aufgewachsen war, langsam veränderte. Was
einst undenkbar schien, wurde zum Alltag:
Verbote, Demütigungen und Angst kamen.
Als 1942 die Deportationen begannen, wusste Selma, dass sie nicht
warten konnte. Sie schloss sich dem Widerstand an und nahm einen
neuen Namen an –
Zuerst Wil Buter, später Marga van der Kuit. Unter dieser Identität
reiste sie durchs Land, gab sich als ganz normale junge Frau aus,
arbeitete in Wirklichkeit aber als Kurierin für eine Widerstandsgruppe.
Sie lieferte illegale Dokumente aus, verteilte falsche Ausweise und
schmuggelte Nachrichten an Untergetauchte.
Jede Zugfahrt konnte ihre letzte sein. Ständig musste sie auf der Hut sein, auf der Straße, in Bahnhöfen, an Kontrollpunkten. Ein falscher Blick, ein falscher Name, und alles wäre vorbei.
Was sie antrieb, war nicht rücksichtsloser Heldenmut, sondern ein tiefes Verantwortungsbewusstsein.
„Ich habe getan, was ich konnte“, sagte sie später. „Nicht, weil ich besonders mutig war, sondern weil es unmöglich schien, nichts zu tun.“ In einer Zeit, in der Angst allgegenwärtig war, entschied sich Selma zu handeln – ein stiller, aber radikaler Akt der Menschlichkeit.
Im Juni 1944, als das Ende des Krieges in Sicht schien, wurde sie verraten. Sie wurde verhaftet, verhört und ins Lager Vught gebracht, wo sie wochenlang auf den Abtransport wartete. Schließlich wurde sie nach Ravensbrück deportiert, dem größten Frauenkonzentrationslager Deutschlands. Dort wurde ihr Name erneut gelöscht und
durch eine Zahl ersetzt. Die Tage bestanden aus Zwangsarbeit, Hunger, Kälte und ständiger Angst vor
Misshandlung oder Hinrichtung. Doch Selma versuchte, wie andere Gefangene, ihre Menschlichkeit zu bewahren.
Sie half kranken Mitgefangenen, teilte das wenige Brot, das sie hatte, und wagte es sogar gelegentlich, Nachrichten zu übermitteln; kleine Hoffnungsschimmer, die von Hand zu Hand gingen. Im Chaos des Lagers entstand eine stille Solidarität: Frauen aller Nationalitäten flüsterten einander ihre Namen zu, unterstützten sich gegenseitig und bekräftigten ihre Existenz in einer Welt, die sie auslöschen wollte.
Als Ravensbrück im April 1945 befreit wurde, war Selma geschwächt, aber am Leben und wurde mit den „weißen Bussen “ aus dem Lager in ein sicheres Land gebracht. Von ihrer Familie
Es stellte sich heraus, dass niemand den Krieg überlebt hatte; ihre Eltern und ihre jüngere Schwester Clara waren in den Konzentrationslagern ermordet worden. Sie trug diesen Verlust ihr ganzes Leben lang mit sich, ohne Bitterkeit, aber mit einer unausgesprochenen Melancholie, die ihre Geschichten prägte.
Nach dem Krieg entschied sie sich für einen Neuanfang. Sie ging nach England, wo sie später ihren Mann Hugo van de Perre kennenlernte und einen Sohn bekam. Sie arbeitete als Journalistin und Übersetzerin, unter anderem für die BBC, und hielt ihre Verbindung zu den Niederlanden durch ihre journalistische Tätigkeit für AVRO und Televizier aufrecht. Sie wurde britische Staatsbürgerin, doch ihr Herz blieb in Amsterdam, der Stadt ihrer Jugend.
Erst in ihren späteren Jahren beschloss sie, ihre Kriegsgeschichte vollständig aufzuschreiben. In ihrem Buch „Mein Name ist Selma“ hielt sie fest, was sie jahrzehntelang stillschweigend mit sich herumgetragen hatte. Nicht, um sich selbst ins Rampenlicht zu rücken, sondern um Zeugnis abzulegen für ihre Familie, für die Frauen von Ravensbrück und für all jene, die nicht mehr sprechen konnten. Ihr klarer, bodenständiger Stil hinterließ einen tiefen Eindruck; ihre Worte trugen die Kraft einer Person, die das Böse gesehen hatte und sich nicht davon definieren lassen wollte.
Bis ins hohe Alter sprach Selma mit Schülern (auch im Rahmen von Klassenfahrten), Studenten (auch im Rahmen der ehemaligen Lehrerbildungsreisen) und Journalisten. Sie tat dies ruhig, ohne Pathos, aber mit einer moralischen Klarheit, die berührte. „Freiheit“,sagte sie oft, „ist nichts, was man hat, sondern etwas, was man verteidigt. Jeden Tag.“
Am 20. Oktober 2025 verstarb Selma van de Perre-Velleman im Alter von 103 Jahren in London.
Sie war eine der letzten überlebenden Widerstandskämpferinnen aus den Niederlanden und Zeugin einer Zeit, die langsam aus der Erinnerung in die Geschichte überging. Ihr Leben symbolisierte die Widerstandsfähigkeit des Geistes und die Entscheidung, in Zeiten des Bösen gut zu bleiben.
Selma hinterließ mehr als nur eine Geschichte. Sie hinterließ einen moralischen Kompass; eine Erinnerung daran, was es bedeutet, menschlich zu bleiben, besonders wenn die Welt ihre Menschlichkeit zu verlieren scheint.
Ruhe in Frieden, Selma. Dein Name bleibt und deine Geschichte wird für immer erzählt werden.