Statement von Präsidentin Ambra Laurenzi

29.02.2024

19.10.2023 - 23.10.2023 Ravensbrück

Mit der Sitzung des Internationalen Ravensbrück Komitees im Oktober dieses Jahres endete die vierjährige Amtszeit des ersten Präsidiums aus den Reihen der zweiten Generation. Dieser Übergang war verständlicherweise nicht einfach, und nach einer ersten Phase der Verunsicherung aufgrund des Verschwindens der bislang für uns maßgebenden Bezugsgrößen, hat sich das neue Komitee bemüht, seine eigene Identität zu bilden und die Ziele seiner Arbeit zu formulieren.

Wir haben die damit verbundenen Herausforderungen offengelegt, denn das Komitee besteht nunmehr aus Delegierten der zweiten und teilweise dritten Generation, die ganz unterschiedliche Lebenswege haben, die aus Ländern stammen, wo nach dem Krieg und in den darauffolgenden Jahrzehnten die Herausbildung eines demokratischen Systems unterschiedlich verlaufen ist, in einigen Fällen sogar unmöglich war, mit gravierenden Auswirkungen auf die Bevölkerung.

Es gilt daher, jenseits dieser Unterschiede einen gemeinsamen Weg zu beschreiten, ausgehend von dem, was uns eint: der Geschichte unserer Mütter. Eine neue Identität des Komitees kann nur im Verständnis dessen entstehen, was die Überlebenden uns hinterlassen haben, sowohl mit ihren Zeugnissen als auch mit ihrem besorgten Appell für die Zukunft.

Die Berichte über ihre tragischen Erfahrungen zeugen von Verfolgung und Diskriminierung, von Entrechtung, von Gewalt, von Qualen und Angst. Zugleich berichten sie uns aber auch von Stärke, Widerstand, Mut, Solidarität, Opferbereitschaft und Zuversicht. All dies offenbart die Vielschichtigkeit des menschlichen Wesens, und so dürfen wir uns nicht darauf beschränken, die - durchaus komplexe - Geschichte ihrer Deportation wachzuhalten und an die künftigen Generationen weiterzugeben, sondern wir haben die Pflicht, aus ihren Erfahrungen die entsprechenden Lehren zu ziehen.

Wir müssen uns also mit dem Widerspruch einer Vergangenheit befassen, die nun fast 80 Jahre zurückliegt und die wir mit Blick auf die Zukunft aufarbeiten müssen, damit sich die erlebte Geschichte nicht wiederholt. Dazu ist es unumgänglich, die heutigen Ereignisse mit dem Blick derer zu sehen, die derlei in anderen Zeiten bereits erlebt haben, wenngleich sie natürlich heute in modernen Formen und Begriffen zum Ausdruck kommen.

Auf dieses Ziel muss sich das Komitee verständigen, damit andere Mütter, andere Väter, andere Kinder nicht die tragischen Erfahrungen von Deportation und Verfolgung machen müssen, obwohl Europa und die Welt längst einen Weg eingeschlagen haben, der mit der Eskalation latenter Konflikte und dem Ausbruch neuer Kriege nicht zum Frieden zu führen scheint. Unsere Aufgabe, die Erinnerung weiterzugeben, wird daher immer dringlicher und muss ein Bewusstsein wecken, das in den 2000er Jahren den Begriff von Menschlichkeit und dem Wert des Lebens verloren zu haben scheint. In Anbetracht der tragischen Ereignisse, die sich derzeit abspielen, kann das Komitee nicht umhin, Erklärungen zu veröffentlichen, die die Ängste, Befürchtungen und Mahnungen von Menschen aufgreifen, die eine der dunkelsten Zeiten der Geschichte erlebt haben.

Die Vermittlung der Geschichte der Deportation - insbesondere deren Ursachen und Folgen - ist ein Ziel, für dessen Erreichung wir auch nach geeigneten Instrumenten und Ausdrucksformen im Hinblick auf die neuen Generationen suchen müssen. Alle Initiativen, die die Delegierten aus den jeweiligen Ländern vorgestellt haben, sind wesentliche Beiträge zur Erreichung dieser Ziele, ebenso wie einige Projekte, die vielleicht ambitioniert erscheinen, von denen ich dennoch überzeugt bin, dass wir sie verwirklichen können.

Die Jahrestagung im Oktober 2023 bot uns Gelegenheit, über all diese Fragen nachzudenken, und hat uns gezeigt, dass das neue Komitee, auch wenn es vielleicht noch nicht ganz sicher auf den Beinen ist, seinen Weg finden wird, um das Erbe, das uns hinterlassen wurde, zu erfüllen.

Die Präsidentin

Ambra Laurenzi