Elisabeth Jäger geb. Morawitz

geb. 25.09.1924 in Wien – gest. 28.06.2019 in Berlin Kfm. Angestellte, Journalistin

Ravensbrück: September 1944 – 28. April 1945

Trägerin der Medaille „Kämpfer gegen den Faschismus 1933 – 1945“ der DDR,
ausgezeichnet mit dem Verdienstorden des Landes Brandenburg (2008)

Elisabeth Jäger, geb. Morawitz, 1998, Foto: Archiv Kauers
Elisabeth Jäger, geb. Morawitz, 1998, Foto: Archiv Kauers

“Es war ein miserables Leben – in einer noch miserableren Umgebung – in die ich hineingeboren wurde. Die Wohnung, in der 8 Menschen lebten, bestand aus einer fensterlosen Küche und einer Stube. … Mein erstes Bett war die Schublade unter einem alten Ledersofa, das der Urgroßmutter als Bett diente. …“ Kamen wir aus der Schule nach Hause und hieß es dann, „Heut sitzt das Kaschperl am Tisch und zeigt die lange Nase“, verstanden wir, dass es an diesem Tag kein Mittagessen geben würde.“

So beginnen die Aufzeichnungen meiner Mutter, Leopoldine Elisabeth Jäger (Maxi, Lisl), über ihr Leben, in dem sie schon als Kind die Ungerechtigkeiten dieser Welt erfahren hatte. Der Vater war auf dem Wiener Naschmarkt als Markthelfer beschäftigt. Im Winter hatte er oft keine Arbeit und die Familie wenig zu essen. Die Mutter war Hausfrau. Schuhe trugen die Kinder nur im Herbst und Winter, wenn es kalt war. Lisl – als jüngstes von 4 Kindern – trug die Schuhe ihrer zwei älteren Brüder auf. Fehlendes Schuhwerk war der Auslöser für die Versagung des Besuchs einer weiterführenden Schule.

Die große Schwester (Greli) war Orientierung für das Erwachsenwerden und das Verstehen der gesellschaftlichen Zusammenhänge. Das Wandern, Singen und Diskutieren bei den „Jungfalken“ und später den „Roten Falken“ taten ihr Übriges. Gern erinnerte sie sich an ihre Falkenführerin, Leopoldine Kovarik (5.12.1919 – 2.11.1943, wegen „Herstellung und Verbreitung hochverräterischer, zur Versendung an Wehrmachtsangehörige bestimmter Briefe“ auf dem Schafott ermordet).

Als im Februar 1934 in der Folge eines Generalstreiks und sich daran anschließender Auseinandersetzungen und Repressalien viele Familien in Not gerieten, weil der Vater als Ernährer fehlte, sammelte die gesamte Familie Morawitz im Rahmen der Roten Hilfe Geld für die betroffenen Familien. Bereits zuvor, im Zusammenhang mit dem energischen Ringen der Mutter um eine anständige Wohnung hatte die Familie die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, sich mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen und sich gegenseitig zu helfen. Auf dem Ahornhof im X. Bezirk, der - wie der berühmte Karl-Marx-Hof - im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus in der SPÖ-geführten Stadt Wien entstanden war, wurde der Familie eine Wohnung zugeteilt: „Zimmer – Kuchl – Kabinett“ hieß das in späteren Erzählungen über diese Zeit.

Im Jahr 1938 wurde Österreich von Hitlerdeutschland annektiert. Die Brüder Karl und Bruno Morawitz und auch die 14-jährige Lisl gehörten einer Gruppe junger Antifaschisten an, die Flugblätter gegen die Annexion und später gegen den Krieg verfassten und unter die Leute brachten. Feldpostnummern wurden gesammelt, um Briefe an die Soldaten an der Front zu schreiben. Diese sollten zum Überlaufen bewegt werden, denn es war ja nicht ihr Krieg. Die Jungen der Gruppe versuchten als Mitglieder von HJ-Gruppen, diese von innen her zu beeinflussen.

Die Gruppe wurde verraten. Lisl wurde am 3. Juli 1941 verhaftet, am gleichen Tag wie ihre Mutter. In ihrem Schutzhaftbefehl vom 2. August 1941 ist zu lesen: „Sie gefährdet nach dem Ergebnis der staatspolitischen Feststellungen durch ihr Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und des Staates, indem sie sich für die illegale KPÖ hochverräterisch betätigt.“

Die Mehrzahl der Mitglieder ihrer Widerstandsgruppe hat die Aktionen gegen Krieg und Faschismus mit dem Leben bezahlt, darunter ihr geliebter Bruder Bruno (20.06.1923 – 25.02.1944, auf dem Schafott ermordet).

Lisl kam mit einer Gefängnisstrafe davon. Nachdem sie zunächst in Wien, im „Roßauer Lände“ eingesperrt und von der Gestapo am Morzinplatz verhört und gefoltert wurde, musste sie die Zeit der Untersuchungshaft in der Haftanstalt in Krems absitzen. Nach ihrer Verurteilung im November 1942 wurde sie bis 30. Juni 1944 im Gefängnis in Stadelheim inhaftiert. In dieser Zeit musste sie Zwangsarbeit für die Firma Agfa leisten. Nach Verbüßung ihrer Gefängnisstrafe kam sie nicht frei, sondern wurde über einen Zwischenaufenthalt in einem Wiener Gefängnis in das Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. Der Schutzhaftbefehl vom 4. August 1944 begründete dies mit der Befürchtung, „sie werde sich in Freiheit weiter mit allen Mitteln und Kräften die Beschädigung der Interessen des Reiches angelegen sein lassen.“

Die Jahre der Haft, darunter das KZ, hat Lisl nach ihren eigenen Worten nur überlebt, weil sie die Hilfe und die Solidarität von Kameradinnen aus verschiedenen Ländern erleben durfte. So gelang es z. B., sie als zunächst „Verfügbare“ aus einem Arbeitskommando, in dem sie (bekleidet mit einem ihr zugeteilten schwarzen ärmellosen Abendkleid und übergroßen Holzpantinen) den ganzen Tag Sand schippen sollte, auf einen Arbeitsplatz in der Lagerverwaltung umzusetzen. Nützlich dabei waren ihre kaufmännische Ausbildung und ihre ausgesprochen schöne Handschrift. Als sie im März 1945 an Typhus erkrankte und ins Revier musste, erhielt sie von einer tschechischen Häftlingsärztin über mehrere Tage jeden Tag eine Tasse Reisschleim, der zuvor von einer anderen Kameradin in der Küche organisiert worden war.

Wenn meine Mutter über Ravensbrück erzählte, vergaß sie nie, über die Kinderweihnachtsfeier zu berichten, die sie zusammen mit vielen anderen eingesperrten Frauen des Konzentrationslagers im Dezember 1944 für mehrere Hundert Kinder im Lager vorbereiten half. Mit einem zu diesem Zweck gegründeten kleinen Chor gingen sie von Baracke zu Baracke; es wurde gesungen und die Frauen spendeten ein wenig von ihrem Essen für die Bescherung der Kinder. Sie bastelte auch kleine Weihnachtsgeschenke für die Kinder, kleine Puppen und auch Elefanten aus grauem Wachstuch.
Immer, wenn sie davon erzählte war sie glücklich – und wurde dann jedes Mal sofort wieder traurig, da keine von ihnen die Kinder vor dem Transport nach Bergen-Belsen im Februar 1945 bewahren konnte. Die Räume der Österreichischen Lagergemeinschaft im ehemaligen Zellenbau berichten von dieser Kinderweihnachtsfeier. Immer wenn wir die Mahn-und Gedenkstätte besuchten, dann legte sie großen Wert auf einen Besuch des Gedenkraumes der österreichischen Häftlinge. Hier fühlte sie sich ihren Kameradinnen stets aufs Neue verbunden: Hermi Löwenstein - mit der sie zeitweilig die Schlafstatt teilte, Friedl Sedlaček – die ihr Kommen im Lager ankündigte und sich anfangs um sie kümmerte, Toni Bruha – die dafür sorgte, dass ihre gynäkologische Untersuchung ausfiel, Hilde Zimmermann und ihrer Mutter, Anna Wundsam, – mit denen sie bis zu deren Ableben eine feste Freundschaft verband und vielen anderen österreichischen Frauen.

An die Tage der Befreiung erinnerte sie sich: „ Ich kann nie vergessen, wie wir zum Lager zurück kamen und über dem Lagertor - vor strahlend blauem Himmel - eine rote Fahne wehte. Das hört sich fast kitschig an, aber so habe ich es in Erinnerung.“ Meine Mutter blieb noch einige Wochen im Lager und half bei der Versorgung der Kranken. Im Juli 1945 saß sie in dem Konvoi, den Rosel Jochmann in Wien organisiert hatte, um die noch in Ravensbrück befindlichen Österreicherinnen nach Hause zu holen.

Zurück in Wien begann sie bald journalistisch für die „Österreichische Zeitung“ zu arbeiten. Die Nachkriegsjahre in Wien waren eine erfüllte, glückliche Zeit. Nachdem sie gemeinsam mit ihrer Mutter (die ebenso wie ihre Kinder verhaftet und zu 4 Jahren Zuchthaus verurteilt worden war) die ehemalige Wohnung im Ahornhof wieder bezogen hatte, probierte sie sich neben der Arbeit an einer Kunstakademie aus, nahm Klavier-, Gesangs- und Tanzunterricht.

1950 übersiedelte sie mit ihrem Ehemann in die gerade gegründete DDR. Ihre erste Arbeitsstelle war das Amt für Literatur und Verlagswesen, später der Rundfunk in der Nalepastraße. Es folgten verschiedene Verlage. Nebenbei absolvierte sie ein Fernstudium der Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Lange Jahre hat sie im Ministerium für Kultur gearbeitet, hat u. a. die Gastspiele ausländischer Künstler in der DDR und umgekehrt Auftritte von DDR-Künstlern im Ausland vorbereitet. Höhepunkt in ihren späten Berufsleben waren sicherlich die KSZE-Verhandlungen in Helsinki und Genf. Monatelang war sie als Mitglied der DDR-Delegation an den Gesprächen zu Korb III (Kunst, Kultur, Wissenschaft) beteiligt.

In verschiedenen Organisationen und Gremien hat sie sich Zeit ihres Lebens politisch engagiert. Die Lagergemeinschaften Österreichs und der DDR waren politische Heimat und wichtigstes Betätigungsfeld. Nachdem sie die Arbeit der Lagerarbeitsgemeinschaft Ravensbrück der DDR von Anbeginn an unterstützt hatte, gehörte sie seit 1986, neben Anni Sindermann und gemeinsam mit Ilse Hunger, zu dem „Dreierkollektiv“ der Leitung. Im selben Jahr wurde sie zur stellvertretenden Delegierten des IRK berufen.

1989/90 hat sie gemeinsam mit Gertrud Müller dafür gesorgt, dass die beiden deutschen Lagergemeinschaften schnell zusammenfanden. Am 25. Mai 1991 fand in Bad Kreuznach die erste gemeinsame Jahrestagung der nunmehr zusammengeschlossenen „Lagergemeinschaft Ravensbrück“ statt. Gertud Müller wurde ihre Sprecherin, Lisl Jäger die Vize Sprecherin.

Lisl hat daneben auch die Dr. Hildegard Hansche Stiftung mit auf den Weg gebracht. In den Jahren 2005 -2007 hat sie die Anfänge des Generationenforums in der Gedenkstätte mitgestaltet. Freude und Interesse hatte sie vor allem an den Begegnungen und der Arbeit mit Jugendlichen, die sie über mehrere Jahrzehnte beschäftigten. Wenn sie von so einem Treffen wiederkam, sprach sie oft zufrieden und glücklich von deren Fragen und Reaktionen.

Sie war eine starke, kämpferische und leidenschaftliche Frau; hat sich nie als Opfer definiert, sondern als Widerstandskämpferin und Antifaschistin. Antifaschistin im Wortsinn: gegen Faschismus – so lange die Kräfte reichten.

(aufgeschrieben von ihrer Tochter, Dr. Brigitta Kauers, im August 2020)