Kriegsgefangene Rotarmistinnen in Ravensbrück

11.05.2020
„In der Nacht vom 26. auf den 27. Februar 1943 erwachen viele Ravensbrückerinnen. Es ist bitter kalt,… scharfer Nordost fegt über die Dächer. Schneegestöber, Eisglätte, Wege, Straßen, Plätze verweht…. … Sie kommen! – Wir sehen sie noch nicht, hören nur ihre Schritte, rhythmisch, gleichmäßig – links, links, links und links. Sicher, ruhig, selbstbewusst marschieren sie auf den Appellplatz. Nein, sie marschieren nicht, sie demonstrieren! SS-Befehle nicht achtend, reagierten sie während der Demonstration nur auf die knappen, kaum hörbaren Kommandos ihrer Brigadierin. So ruhig, im Gleichschritt, wie sie auf der Lagerstraße angekommen waren, genauso ruhig, genauso demonstrativ diszipliniert schwenken sie truppweise vom Platz, zu den Aufnahmestationen. Und waren nur in Decken gehüllt. Sie hatten sich unter freiem Himmel von ihren Uniformen trennen müssen.“ (Quelle: Christa Wagner, „Geboren am See der Tränen“, Berlin, 1987, S. 2009/2010)
Haftwinkel der Rotarmistinnen, hier von J. Klemm
Haftwinkel der Rotarmistinnen, hier von J. Klemm

Diese Dokumentarerzählung nimmt ein Ereignis auf, das vielen ehemaligen Ravensbrückerinnen besonders in Erinnerung geblieben ist. Bei den etwa 500 Rotarmistinnen, die im Februar 1943 in Ravensbrück ankamen, handelte es sich mehrheitlich um Frauen des Sanitätsdienstes der Schwarzmeerflotte und der Küstenarmee, die nach der Einnahme von Sewastopol durch deutsche und rumänische Truppen Anfang Juli 1942 in Kriegsgefangenschaft geraten waren. Über das Kriegsgefangenen-Großlazarett Slawuta in der West-Ukraine kamen sie zuerst in das Sammellager Rowno. In einem geschlossenen Transport überstellte die Wehrmacht sie an das Landearbeitsamt Westfahlen. Aber eine Gruppe von 500 Frauen, mit Jewgenia Lasarewna Klemm als Sprecherin, verweigerte den Arbeitseinsatz in der deutschen Rüstungsindustrie. Daraufhin lieferte die SS diese Frauen am 27. Februar 1943 in das KZ Ravensbrück ein. Viele ehemalige Häftlinge des KZ Ravensbrück haben das Eintreffen der sowjetischen kriegsgefangenen Frauen in ihren Erinnerungen festgehalten. Die Rotarmistinnen, die sich auch im Lager durch starken Zusammenhalt und Disziplin auszeichneten, wurden von Überlebenden unterschiedlicher Nationalitäten und politischer Anschauungen oft wegen ihrer Haltung als Heldinnen geschildert.

Etwa eine Million Frauen dienten seit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 bis zum Mai 1945 in der Roten Armee. Davon waren etwa 60 % im Sanitätsdienst tätig. Frauen, die eine medizinische, veterinäre und spezielle technische Ausbildung hatten, konnten nach dem Wehrgesetz der UdSSR einberufen werden. Viele meldeten sich freiwillig. Den sowjetischen Kriegsgefangenen sprach die Wehrmacht das Recht auf Leben ab. Von den sowjetischen Kriegsgefangenen überlebten sechzig Prozent die Gefangenschaft nicht. Nach dem Kriegsvölkerrecht waren die Rotarmisten und Rotarmistinnen, sogenannte Kombatanten und hätten den Schutz ihres Lebens verdient. Entgegen dem Völkerrecht wurde ihnen der Kombatantenstatus aber aberkannt. Kriegsgefangene Rotarmistinnen, die nicht als „Ostarbeiterinnen“ in die Zwangsarbeit gehen wollten, wurden in ein Konzentrationslager eingewiesen. Die ersten von insgesamt etwa 800 kriegsgefangenen Rotarmistinnen in Ravensbrück kamen bereits im Spätsommer 1942 in Ravensbrück an. Die ehemaligen Mitglieder des Internationalen Ravensbrück Komitees (IRK), Antonina Aleksandrowna Nikiforowa, Ärztin und Nina Pawlowna Baranowa, Krankenschwester, kamen Ende April 1944 nach Ravensbrück. Sie gerieten an jeweils unterschiedlichen Orten in Kriegsgefangenschaft. Auch sie weigerten sich, Zwangsarbeit in Deutschland zu leisten und wurden daraufhin in das KZ Majdanek eingeliefert. Im Zuge der Räumung des Lagers wurden sie in das KZ Ravensbrück überführt.

Wie viele Rotarmistinnen insgesamt in den deutschen Konzentrationslagern inhaftiert wurden, ist unbekannt. Doch waren 1944 allein im KZ Mauthausen 621 Soldatinnen registriert. Im Zuge der Evakuierung von Majdanek vor der näher rückenden roten Armee wurden 53 Frauen in das KZ Ravensbrück gebracht.

Nach der Befreiung befanden sich in den KZ vollkommen ausgehungerte, kranke und sterbende Menschen. Ihre Versorgung übernahmen sehr oft die Militärmediziner der Roten Armee, die in dem jeweiligen Lager bereits als Kriegsgefangene eingesetzt waren. So auch in Ravensbrück, wo Mitte Mai 1945 ein Lazarett entstand.

(Quelle: „Kriegsgefangene Rotarmistinnen im KZ. Sowjetische Militärmedizinerinnen in Ravensbrück“; Hrsg.: Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, 2016)

Antonina Alexandrowna Nikiforowa

A. A. Nikiforowa Ravensbrück Archiv

16.06.1907 – 08.08.2001 St.Petersburg

Ärztin, Rotarmistin im Sanitätsdienst

Maidanek: 1943 - April 1944 Ravensbrück: 21. April 1944 – Mai 1945

Antonina Alexandrowna Nikiforowa wurde im Juni 1907 in St. Petersburg, in der Familie eines Postbeamten geboren. Die Familie verarmte, als der Vater im Jahr 1918 verstarb. Das anfangs kränkliche Mädchen wurde einige Zeit im Kinderheim untergebracht. Antonina besuchte ab dem 22. Lebensjahr eine medizinische Berufsschule. Sie arbeitete anschließend als Krankenschwester und studierte ab 1931 fünf Jahre lang im Abendstudium am Medizinischen Institut „Iwan Pawlow“ in Leningrad. Als Ärztin spezialisiert sie sich auf dem Gebiet der Pathologie. Als sowjetische Militärärztin diente sie seit dem 23. Juni 1941 in einem Marinelazarett des Küstenschutzes der Baltischen Flotte in Kuresaare. Am 5. Oktober 1941 geriet sie in deutsche Kriegsgefangenschaft. Nach Inhaftierung in verschiedenen Kriegsgefangenenlagern in Estland, Litauen und Polen wurde sie, da sie die Zwangsarbeit für die deutsche Industrie verweigerte, 1943 in das KZ Majdanek eingewiesen. Im Zuge der schrittweisen Räumung des Lagers kam sie am 21. April 1944 in Ravensbrück an. Dort wurde sie in der Pathologie und im Krankenrevier als Häftlingsärztin eingesetzt. Nach der Befreiung war sie die hauptverantwortliche Ärztin im sowjetischen Infektions-lazarett in Ravensbrück. Ende Oktober 1945 kehrte Antonina Nikiforowa nach Leningrad zurück, erhielt jedoch keine Wohnberechtigung für die Stadt. Nach drei Monaten illegalen Aufenthalts bei ihrer Schwester zog sie nach Sibirien und arbeitete dort in einem Dorfkrankenhaus. Erst 1948 gelang ihr die Rückkehr nach Leningrad. Bis zur Rente arbeitete sie dort als Pathologin in einem Krankenhaus. Nach der Befreiung machte Antonina Nikiforowa es sich zur Lebensaufgabe, über Ravensbrück zu berichten, über die nationalsozialistischen Verbrechen aufzuklären und an den Frieden zu mahnen. Sie korrespondierte mit vielen ehemaligen Mithäftlingen in ganz Europa, sammelte die eingehenden Briefe und Materialien zu Kriegsgefangenschaft und KZ. So entstand ein umfangreicher Nachlass dieser außergewöhnlichen Frau. Antonina Nikiforowa hat zwei Bücher zum Thema Ravensbrück und Krieg geschrieben: 1957 erscheinen ihre Aufzeichnungen „Das darf sich nicht wiederholen“. Es basiert auf ihren eigenen Erinnerungen sowie Erlebnissen anderer ehemaliger Häftlingsfrauen und legt Zeugnis ab über die Ereignisse im KZ Ravensbrück. Ihre Publikation führte dazu, dass sich viele sowjetische Frauen ihr gegenüber öffneten und in zahlreichen Briefen von ihren Kriegsschicksalen erzählten. Im Jahr 1967 erschien ihr zweites Buch: „Erzählungen über Kampf und Freundschaft“, das neben der Erinnerungen aus Ravensbrück auch die Nachkriegserlebnisse ihrer Freundinnen aus der Zeit der Internierung beinhaltet. Quelle: „Ravensbrückerinnen“, Hrsg. Sigrid Jacobeit mit Elisabeth Brümann-Güdter, S. 127 -130, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Edition Hentrich, 1995, ISBN 3-89468-163-2 und „Kriegsgefangene Rotarmistinnen im KZ. Sowjetische Militärmedizinerinnen in Ravensbrück“, Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, 2016

Nina Pawlowna Baranova

Nina Pawlowna Baranova, Ravenbrück Archiv

01.12.1923 Moskau – 01.11.2002 Moskau Krankenschwester, Rotarmistin im Sanitätsdienst, Verwaltungsangestellte im medizinischen Bereich Vizepräsidentin des IRK 1965 Maidanek: Februar 1944 Ravensbrück: 21. Mai 1944, anschl. Leipzig, Fa. HASAG

Nina Pawlowna Baranowa wurde am 01. Dezember 1923 in Moskau geboren. Nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion absolvierte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitete einige Monate in einem Moskauer Krankenhaus. Sie hatte sich freiwillig zur Front gemeldet und wurde 1943 als Sanitäterin an die Stalingrader Front geschickt. Nachdem eine dort zugezogene Verwundung ausgeheilt war, versetzte man sie an die Front am Don. Im Februar 1943 geriet sie in deutsche Kriegsgefangenschaft. Über mehrere Kriegsgefangenenlager wurde sie im Februar 1944 in das KZ Maidanek deportiert, weil sie sich weigerte, Zwangsarbeit für Deutschland zu leisten. Im Zuge der Räumung des Lagers wurde sie Ende April 1944 in das KZ Ravensbrück überführt. Obwohl der Hunger ohnehin im Lager Ravensbrück allgegenwärtig war, trat sie gemeinsam mit anderen russischen Kriegsgefangenen in den Hungerstreik. Dieser richtete sich gegen ihre Zwangsarbeit für die deutsche Rüstungsindustrie. Der Hungerstreik hatte Erfolg –sie wurde in der Lagerküche von HASAG Hasag eingesetzt. Vom Lager aus auf den Todesmarsch getrieben, wurde sie am 24. April in der Nähe von Riesa befreit. Im November 1945 nach Hause zurückgekehrt, arbeitete sie zunächst wieder als Krankenschwester in einem Krankenhaus. Später durchlief sie eine Ausbildung an einem Wirtschaftsinstitut und arbeitete anschließend als Verwaltungsangestellte im medizinischen Bereich. Nach Gründung des sowjetischen Kriegsveteranenkomitees 1956 engagierte sie sich in der Sektion der Kriegsgefangenen. Seit 1958 war sie Vorsitzende einer Bezirksorganisation der Medizinergewerkschaft. Ab 1975 war sie als stellvertretende Personalleiterin in einem medizinisch-technischen Betrieb tätig. Obwohl Frauen in der Sowjetunion in der damaligen Zeit nach dem Gesetz bereits mit 55 Jahren in Rente gehen durften, arbeitete sie bis zum 67. Lebensjahr. Auch im IRK war sie lange Jahre aktiv, seit 1965 war sie dessen Vizepräsidentin.

Quellen:“Kriegsgefangene Rotarmistinnen im KZ Ravensbrück. Sowjetische Militärmedizinerinnen in Ravensbrück“, Hrsg.: Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, Berlin 2006

Jewgenija Lasarewna Klemm (geb. Radakovič)

Jewgenija L. Klemm, Ravensbrück Archiv

21.20.12.1898 (Belgrad) – 02.09.1953 (Odessa)

Lehrerin, Dozentin

Ravensbrück: 27. Februar 1943 – 28. April 1945

Jewgenija Klemm wurde am 20. Dezember 1898 in Belgrad geboren. 1917, kurz nach der Oktoberrevolution schloss sie sich der Roten Armee an und nahm an den Bürgerkriegskämpfen als Krankenschwester teil. Nach dem Studium unterrichtete sie in Odessa Geschichte an Schulen und am Pädagogischen Institut Methodik des Geschichtsunterrichts. Im Oktober 1941 meldete sie sich als Krankenschwester freiwillig an die Front und kam erst nach Odessa, dann in Sewastopol zum Einsatz. Dort geriet sie im Juli 1942 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Zusammen mit hunderten Soldatinnen wurde sie im Februar 1943 nach Deutschland in das Zentrale Durchgangslager für Zwangsarbeiter in Soest gebracht. Mit Klemm als Sprecherin verweigerte die Gruppe gemeinsam den Arbeitseinsatz in der Rüstungsindustrie. Daraufhin wurden die Frauen in das KZ Ravensbrück überstellt. Im Lager gab Jewgenija Klemm ihren Mitgefangenen heimlich Deutsch- und Geschichtsunterricht und knüpfte Kontakte zu Häftlingen anderer Nationalitäten. Im April 1945 wurde sie auf einem der Evakuierungsmärsche von der roten Armee befreit. Nach der Befreiung arbeitete sie kurze Zeit in der sowjetischen Kommandantur in Neustrelitz als Dolmetscherin. Im Herbst 1945 kehrte sie als Dozentin an das Pädagogische Institut in Odessa zurück. Bald bekam sie Schwierigkeiten. Ihr Vatersname Lasarewna rief er die Vermutung hervor, dass sie Jüdin sei. Das Innenministerium begann zu fragen, wieso sie als Jüdin in Sewastopol nicht vernichtet worden sei, sondern verschont worden war. Der Verdacht, dass sie während ihrer Gefangenschaft mit den Deutschen kollaboriert hätte, führte 1953 zu ihrer Entlassung. Im selben Jahr, am 2. September, nahm sie sich daraufhin das Leben. In ihrem Abschiedsbrief schrieb sie: „Ich war immer der Meinung, dass arbeiten heißt leben und kämpfen. Nicht arbeiten heißt nicht leben. Und jetzt hat man mir diese Arbeit versagt. Man hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, es mir persönlich mitzuteilen. Bin ich denn ein so niedriger Mensch, dass es sich nicht lohnt, mit mir zusprechen? Nicht zu arbeiten bedeutet für mich nicht zu leben.“ Durch Spenden ihrer Kollegen vom Pädagogischen Institut und ehemaliger Ravensbrück-Häftlinge wurde eine Grabstätte für sie in Odessa gestaltet.

(Quelle: „Kriegsgefangene Rotarmistinnen im KZ. Sowjetische Militärmedizinerinnen in Ravensbrück.“, S. 38/39, Hrsg.: Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, 2016)

Nina Fjodorowna Charlamowa

Nina Fjodorowna Charlamowa, Archiv Ravensbrück

1907 Kurgan – 17.08.1993 Moskau

Ärztin

Ravensbrück: 27. Februar 1943 – Majdanek – Auschwitz – Ravensbrück, Außenlager Salzgitter, Bergen-Belsen: 15. April 1945 Befreiung

Nina Charlamowa wurde 1907 in Kurgan geboren. Nach dem Medizinstudium in Omsk arbeitete sie als Chirurgin in einem Moskauer Krankenhaus. Nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion wurde sie am 23.Juni 1941 in die Rote Armee einberufen und im Rang eines Hauptmanns des medizinischen Dienstes im 357. Mobilen Feldlazarett der Küstenarmee in Sewastopol (Krim) eingesetzt. Anfang Juli geriet sie zusammen mit Verwundeten in Gefangenschaft. „Unmittelbar vor dem Felsen fand die Filtrierung der Menschenmenge statt. Die Deutschen suchten die Kommissare, Politoffiziere und Juden heraus und erschossen sie auf der Stelle. Uns allen wurden sämtliche Sachen, die wir bei uns hatten, wie Uhren, Ringe, Geld abgenommen, Kleidung und Schuhwerk grob vom Körper gerissen. Barfuß und in Unterwäsche trieb man die Gefangenen in der sengenden Julihitze im schnellen Marsch nach Sewastopol. Die Bewacher schrien wild und benutzten bei jedem Schritt ihre Stöcke. Sie schlugen damit auf den Kopf, ins Gesicht und auf die Schultern und erschlugen die, die zurückblieben.“ Über mehrere Kriegsgefangenenlager und – lazarette wurde sie zusammen mit weiteren etwa 500 kriegsgefangenen Frauen nach Deutschland zur Zwangsarbeit abtransportiert. Da sie sich weigerte, für die deutsche Rüstungsindustrie zu arbeiten, inhaftierte man sie im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Von dort wurde sie nach Majdanek und Auschwitz, dann wieder zurück nach Ravensbrück und schließlich in ein Außenlager in Salzgitter überstellt. Am 15. April 1945 erlebte sie die Befreiung durch britische Truppen in Bergen-Belsen. Nach dem Krieg arbeitete Nina Charlamova wieder als Ärztin in Moskau bis zu ihrem Tod am 17. August 1993. Nina F. Charlamowa hat ihre Erinnerungen aufgeschrieben. Ihr Buch „Von Sewastopol bis zum Konzentrationslager Bergen-Belsen“ ist 1957 in Moskau erschienen.

(Quelle: „Kriegsgefangene Rotarmistinnen im KZ. Sowjetische Militärmedizinerinnen in Ravensbrück.“, S. 24/25, Hrsg.: Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst, 2016)

Аlexandra Fjodorowna Dejewa (geb. Gaiwanenko)

1923 Jurino

Krankenschwester

Ravensbrück: 27. Februar 1943 – 28. April 1945

Alexandra begab sich aus ihrem Heimatdorf Jurino nach Rostow-am-Don, um eine medizinische Ausbildung zur Krankenschwester zu absolvieren. Sie arbeitet zielstrebig, legte die Examen ab und fuhr in den anschließenden Ferien nach Hause. Irgendwie zog es sie zu ihrer Mutter, zu ihren Schulfreunden, zum elterlichen Häuschen und zum Garten, den ihr Vater längere Zeit zuvor angelegt hatte. ... Die Ernte sollte sie allerdings nicht mehr einbringen. Der Krieg begann und im August wurde Sascha Gaiwanenko zum Kriegsfeldscher. Im Dezember 1941 wurde ihre 79-er Kurganer Schützenbrigade der Küstenarmee nach Sewastopol verlegt.... Eines Tages, als sich die Gruppe der Soldaten zum nächsten Einsatz bereit machte, trat auch Alexandra vor. .... Vom Einsatz zurückgekehrt, konnte sie das Zittern lange nicht bezwingen. … Wer hätte behauptet, dass es nicht schrecklich ist, darauf zu warten, dass hinter dem nächsten Strauch der Feind auftaucht, ganz in der Nähe eine fremde Sprache zu hören? Sie sind jede Nacht zum Einsatz gegangen ...und Alexandra ging jedes Mal mit ihnen. Es fiel ihnen leichter, wenn sie in der Nähe war. ... Sie gerieten in Gefangenschaft. Unmenschliche Qualen, als man sie, entkräftet und verwundet, von einem zum anderen Lager jagte, ohne Wasser, weiter und weiter. In der Zelle des Gefängnisses von Simferopol traf Sascha Gaiwanenko auf Frauen – Medizinerinnen aus anderen Armeeabteilungen. Unter Ihnen war Jewgenija Lasarewna Klemm, eine Ärztin aus Odessa. Dazu gehörten auch Каtja Woloschina, Walja Gnedaja, Shenja Notschewkina,– einige derjenigen, die in Ravensbrück zur Widerstandsgruppe gehörten…. Nach Ravensbrück hat man die etwa 500 Frauen deportiert, nachdem diese sich geweigert hatten, in einem Rüstungsbetrieb zu arbeiten. Hier hat die SS alles daran gesetzt, alles Menschliche zu vernichten....Die Angst um das eigene Leben sollte alles andere überdecken – die Liebe zur Freiheit und zum eigenen Land, das Verständnis von Freundschaft und Solidarität - die Frauen sollten dazu gebracht werden, nach tierischen Gesetzen zu leben, ... sollten zu hörigen Sklaven werden. Sie versammelten sich heimlich, nachts auf den oberen Brettern der Pritschen, unten wurden Wachen postiert. Jewgenija Lasarewna Klemm sprach leise, aber hörbar für alle. Zu Beginn über die Front,... Informationen, die mit Hilfe der Antifaschistinnen aus anderen Baracken gewonnen werden konnten (dort tauchten manchmal deutsche Zeitungen und es gab einen selbstgebauten Radioempfänger), überzeugten sie davon, dass die Hilfe nah war. Und sie wollten so sehr leben!... Auf den Zusammenkünften wurden verschiedene Entscheidungen gefällt. Wie z. B. könnte man die Arbeit in der Schneiderei sabotieren? (Die Tschechin Zdĕnka Nejedlá hatte Karten für die Arbeitsbefreiung besorgt): dafür schnitten sich die Mädchen selbst in die Hände,... Den 1. Mai haben sie zwei Wochen später begangen (die Lagerleitung passte auf jeden ihrer Schritte auf). In der Baracke der «Krasnoarmejek» (Rotarmistinnen) versammelten sich Kommunistinnen aus Polen, Frankreich, Deutschland, der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Belgien, …..alle haben sich gegenseitig beglückwünscht, Gedichte rezitiert, gesungen. Ende 1944 wurden in der Baracke der Rotarmistinnen dreizehn тринадцать Kinder untergebracht. Zwischen drei und fünf Jahren. Es wurde beschlossen, sie zu beschützen, sie – koste es was es wolle - zu retten. Den Frauen gelang es, fast alle Kinder der Baracke zu retten. Viele dieser Kinder haben heute eigene Kinder und die „Lagermütter“ sind längst schon zu Großmuttern geworden.

(aus dem Russischen: „Erinnerung des Herzens. Über die Schicksale unserer Landleute vom Don, ehemalige Häftlinge faschistischer Konzentrations- und Vernichtungslager.“, S. 161-167, Rostow am Don, 2015, Hrsg: Muratowa L. S.)